Pfad der Vielfalt: Fels und Wald
Über Reibereien, Kollisionen und Medusen im Fischbachtal
Sonntag, 11. Oktober, 14:00 Uhr | Exkursion mit Geopark-vor-Ort-Begleiter Günter Glas und Revierförster Günter Coumont
Stephan Kühn, Mitinitiator von Fischbachtal kreativ, begrüßte bei herrlichem Herbstwetter rund dreißig Gäste. Er gab einen kurzen Überblick über das Gesamtprojekt „Pfad der Vielfalt“, zu dem auch die heutige Exkursion zählt, die zugleich auch in diesem Jahr den vorläufigen Abschluss des Vorhabens darstellt. Die feierliche Eröffnung dieses Pfades sei für Sonntag, den 22. Mai 2016 geplant; bis dahin gelte es allerdings für das Team von Fischbachtal kreativ, hinter den Kulissen noch eine ganze Menge Arbeit zu leisten. Kühn stellte dann jene beiden Herren vor, die die Gruppe heute führen und mit wertvollen Informationen versorgen sollten: Günter Glas aus Niedernhausen, ehrenamtlich auch als Geopark-vor-Ort-Begleiter aktiv, beschäftigt sich seit Jahren gerne und intensiv mit der Geologie, auch jener, die für unsere Region typisch ist. Und Günter Coumont, Revierförster im Fischbachtal, gilt als Experte für die hiesige Fauna und Flora.
Gleich nach der Einführung machte sich die Gruppe auf den rund fünf Kilometer langen Weg, um heute mehr über ganz besondere Lebensräume im Fischbachtal zu erfahren. Und sie wurden nicht enttäuscht.
Reibereien und Kollisionen im Fischbachtal
Gleich beim ersten Zwischenhalt, oberhalb Billings, berichtete Günter Glas über die historische und geologische Entstehung auch dieser Region, zu verdanken der so genannten Plattentektonik. Demnach "schwimmen" auf dem flüssigen Teil des äußeren Erdmantels gewaltige Kontinentalplatten. Angetrieben von riesigen Zirkulationsströmungen im Erdinneren kommen sie sich vehement ins Gehege, sprich sie stoßen zusammen. Sowohl die kleineren Reibereien als auch die echten Kollisionen bleiben nicht ohne Folgen. Mit dazu gehören neben Erdbeben und vulkanischen Aktivitäten auch mehr oder minder große "Blechschäden" - ganz wie beim Autounfall -, hier Gebirgsfaltung genannt.
Und genau so, aus diesen Faltungen, sind viele unserer Gebirge, bis hin zum Himalaya, entstanden. Auch unsere Region, das verrät Günter Glas, sei zunächst einmal wohl mehrere tausend Meter hoch gewesen. Doch wie im richtigen menschlichen Leben nagt auch am stolzesten und höchsten Gebirge unaufhörlich der Zahn der Zeit. Und so zwangen Wind und Wasser im Laufe von Jahrmillionen auch unsere Region langsam aber sicher in die Knie, erodierten durch ständigen Materialabtransport das Hoch- zum Mittelgebirge.
Wir laufen weiter, hinauf bis zum Meßbacher Steinbruchsee. Jetzt wendet sich Günter Glas intensiver dem Gestein zu, weiß Bemerkenswertes darüber zu berichten, aber auch zu demonstrieren.
Nachdem er souverän „den Stein so richtig ins Rollen“ gebracht hat, übergibt er an Förster Günter Coumont.
Der beleuchtet den Standort, an dem wir uns gerade befinden, aus gänzlich anderer Perspektive. Es sei ein Standort mit Grenzeffekten, eine Schnittstelle, die deshalb entstünde, weil auf engstem Raum völlig unterschiedliche Lebensräume direkt aufeinander treffen: das offene Land einerseits, der Wald, Felswände und das Wasser andererseits. Und ein solches Extrem bilde zugleich Lebensgrundlage für ein durchaus außergewöhnlich breites Artenspektrum, für eine Vielzahl an Vögeln, Säugetieren, Insekten, Fischen und Amphibien.
Die Medusen von Meßbach
Der kleine Steinbruchsee, ein Kleinod sozusagen, wie weit und breit kein zweites zu finden, sei einer der heute sehr selten gewordenen nährstoffarmen Klarwasserseen und damit Lebensraum für ganz besondere Arten, die sich andernorts gegenüber starker Konkurrenz nicht oder nur mühsam behaupten können. Der Beweis lässt nicht lange auf sich warten: mit großem Erstaunen nehmen wir zur Kenntnis, dass der Meßbacher Steinbruchsee sogar die Süßwasserqualle beheimatet. Craspedacusta sowerbii ist der korrekte lateinische, fast furchterregende Name dieses außergewöhnlichen Bewohners des Fischbachtales, der aber alsbald auf Grund einer Maximalgröße von zweieinhalb Zentimetern, der Abwesenheit jeglicher giftiger Nesselstoffe geradezu alles von seinem anfänglichen Schrecken verliert. Nicht zuletzt trägt auch die Tatsache, dass diese Süßwasserqualle mit 99,3 Prozent den höchsten, jemals bei Tieren gemessenen Wassergehalt hat, erheblich zur allgemeinen Beruhigung bei.
Nicht unerwähnt und undiskutiert bleibt auch jener nicht enden wollende Konflikt, unter dem besondere und wunderbare Orte wie dieser überall auf der Welt leiden. Denn nicht immer sind Interessen und Ziele jener, die Erholung suchen und die Freizeit gestalten wollen, problemlos vereinbar mit jenen des Naturschutzes. Auch das ist an diesem Ort ein Thema, mit in den letzten Jahren wieder steigender Tendenz.
Auf Leben und Tod im Wald
Wir gehen weiter auf dem Pfad der Vielfalt, über die Meßbacher Straße, hinein in den Wald. Nach einigen hundert Metern machen wir an einer bestimmten Stelle Station. Hier hat vor Jahren ein Sturm „Tabula rasa“ gemacht. Orte wie diesen bezeichnet Günter Coumont als „Störstelle“. Diese sei gar nicht mal unwillkommen, und zwar deshalb, weil sie eine Chance zur punktuellen Erhöhung der Artenvielfalt bietet. Dazu müsse man ein solches Areal nur sich selbst überlassen, so dass sich die Natur völlig unbeeinflusst selbst entwickeln kann - man nennt das auch Sukzession. Das Resultat sei schon bald eine höhere Diversität als mit Eingriff des Menschen. Aber auch der habe durchaus Möglichkeiten, im Rahmen der Forstwirtschaft positiv Einfluss zu nehmen. Dazu gehöre die Anpflanzung vieler unterschiedlicher Baumarten, soweit ein Standort dies zulässt. Zudem sei ein dieserart vielfältiger Wald gerade auch im Hinblick auf den fortschreitenden Klimawandel erheblich stabiler, weniger anfällig und damit zukunftsfähiger als Monokulturen.
Und hat man noch vor Jahrzehnten systematisch alles Totholz aus dem Wald entfernt, so geht man heute gänzlich andere, weil sinnvollere Wege. Insbesondere stehende, aber schon abgestorbene Bäume, bieten einer Vielzahl anderer Lebewesen willkommene und zugleich zu ihrer Existenz erforderliche Lebensräume. Ziel sei heute, mindestens bis zu zehn solcher Bäume pro Hektar Wald zu belassen. Aber auch liegendes Totholz erfüllt eine außerordentlich wichtige Funktion, bietet es doch tausenden von Organismen Lebensraum und Nahrung gleichermaßen.
Wir von Fischbachtal kreativ danken unseren beiden Günter (beide auch noch „mit ohne h“!) sehr herzlich für diesen tollen und so informativen Nachmittag. Und unseren Gästen dafür, dass sie dabei waren. Wir sehen uns hoffentlich am 22. Mai 2016, wenn wir feierlich den „Pfad der Vielfalt“ eröffnen.
Mehr Informationen:
Hier ist unsere Einladung:
Pfad der Vielfalt: Fels und Wald -
Raum für Extremisten und Spezialisten.
Sonntag, 11. Oktober, 14:00 Uhr | Treffpunkt: Straße K72 nach Meßbach nach der Fischbachbrücke | Exkursion mit Revierförster Günter Coumont und Geopark-vor-Ort-Begleiter Günter Glas
Was hat uns wohl bewogen, einen ganzen Abschnitt des neuen Fischbachtaler Pfades der Vielfalt ausgerechnet den Themen Fels und Wald zu widmen? Ein großer Abschnitt des Pfades wird dazu vom Herrensee durch das ehemalige Steinbruchgelände oberhalb von Billings und durch den Wald zum Sportplatz am Nonroder Hang führen.
Und warum sprechen wir in diesem Zusammenhang von einer Heimat für Spezialisten und Extremisten? Hier versuchen wir, ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen …
Bleiben wir gleich beim Licht – im Wald ist es sowohl entscheidender als auch begrenzender Faktor. Nur dort, wo Licht bis an den Boden gelangt, können neue Pflanzen entstehen. Wird durch das Fällen eines Baumes oder durch einen Sturm das dichte Kronendach aufgerissen, beginnt darunter sofort das Wachstum: Kräuter, Gras, Brombeeren, junge Bäume kommen auf. Aber auch die Kronen der umstehenden alten Bäume drängen in diese Lücke und überschatten den Boden wieder. So herrscht im Wald ein ständiger Konkurrenzkampf um das Licht, um einen Platz an der Sonne.
Ganz unten, dort bieten die verschiedenen Schichten im Wald (Boden, Kraut- und Strauchschicht, Stamm- und Kronenraum) wiederum ganz viele ökologische Nischen zur Besiedelung durch andere Arten: die Wildschweine und Rehe nutzen das Dickicht der jungen Bäume für ihre Tagesruhe, das Moos wächst an den Schattenseiten der Bäume, die Fledermäuse schlafen in hohlen Stämmen, Pilze durchwurzeln den Boden usw. Kurz: bei uns ist der Wald die naturnaheste Landschaft.
Und mitten drin: das Kontrastprogramm. Der alte Steinbruch, in dem und um den herum viele verschiedene Lebensräume auf kleinster Fläche aneinander grenzen: Fels und Sand, Wasser, Hecken, Wald und Wiesen …
In den aneinander grenzenden Bereichen dieser Lebensräume sind Artenanzahl, Populationsdichte und Produktion der Organismen oft sehr viel größer als in den Kernlebensräumen. So finden sich dort z.B. viel mehr Vogelarten als im Wald oder auf dem Feld. Besondere Bedingungen im Grenzbereich zweier Landschaften also. Im Steinbruch selbst bildet der Fels einen Lebensraum mit großen Extremen: sobald die Sonne scheint, wird es an der Oberfläche sehr heiß und trocken, in den schattigen Spalten dagegen bleibt es sehr kühl und feucht. Es ist kaum Boden da, in dem die Pflanzen wurzeln und aus dem sie ihre Nährstoffe beziehen können. Die Steilwände sind durch Menschen kaum erreichbar – und gerade das sichert manchen Arten das Überleben.
Genau diese faszinierenden Lebensräume wollen wir an diesem Sonntag zusammen mit unserem Revierförster Günter Coumont von HessenForst und unserem Geopark-vor-Ort-Begleiter Günter Glas erkunden. Und können sicher sein, von diesen Beiden hoch interessante Fakten und Zusammenhänge über unseren Wald und seinen Untergrund, die Gesteinsformationen des Vorderen Odenwaldes zu erfahren. Zwei bis drei Stunden wird unsere eindrucksvolle Exkursion dauern. Dazu empfehlen wir festes Schuhwerk.