„Das Glück wächst nicht mit dem Wohlstand“
Donnerstag, 13.10.2016, Infoabend mit Prof. Dr. Niko Paech im Bürgerhaus Billings,
Ungeahnte, aber umso faszinierendere Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft zeigte uns Ökonom Niko Paech bei seinem Vortrag zum Thema „Postwachstums-Ökonomie“ auf.
Für den Volkswirtschaftler und Dozenten Prof. Dr. Niko Paech muss es eine abenteuerliche Reise gewesen sein: mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis an die Bushaltestelle „Billings-Mitte“ – um dann festzustellen, dass es in dieser metropolen Ortschaft nicht einmal mehr eine Telefonzelle gibt, dafür aber immerhin eine einzige Gastwirtschaft. Diese konnte den weitgereisten und hungrigen Gast samt Begleitung zwar nicht mit vegetarischen Speisen, wohl aber mit 'Äbbelwoi' und Wurstsalat glücklich machen – ‚back to the roots ‘ sozusagen.
Zurück zu den Wurzeln kehrte zunächst auch Achim Krell bei seiner Begrüßungsansprache zu dem Informationsabend, zu dem wir rund 45 Gäste im Bürgerhaus Billings begrüßen konnten. Er kramte in seinem mitgebrachten und gut 56 Jahre alten Schulranzen, fand darin unter anderem die Erstausgabe des Buches „Die Grenzen des Wachstums“. Heute sei der Kern der darin enthaltenen Botschaften aktueller denn je - doch Wachstumskritiker werden nach wie vor nicht gerne gehört.
Unbegrenztes Wachstum als Auslöser für heutige „Welt-Probleme“
Davon konnte auch Niko Paech, unser Gast und Referent des Abends, berichten. Er brachte uns in seinem gut zweistündigen Vortrag seine kritische Betrachtung der heute in der Wirtschaft vorherrschenden Wachstumstheorie näher und beleuchtete verschiedene Lösungsansätze für die sich heute aus dem scheinbar unbegrenzt möglichen Wirtschaftswachstum resultierenden, handfesten Probleme. Denn der Klimawandel, zahllose politische Krisen, bewaffnete Konflikte und schlussendlich auch die nicht nur in Deutschland heiß diskutierte Flüchtlingskrise sind erwiesenermaßen die Ergebnisse des menschlichen Wachstumsdrangs, insbesondere wirtschaftlicher Interessen und einer zunehmenden Erschöpfung der irdischen Ressourcen.
Grünes Wachstum vs. Postwachstumsökonomie
Paech unterscheidet grundsätzlich zwischen „grünem Wachstum“ - ein Wachstum von grünen Technologien mit einer effizienteren Ressourcennutzung und der so genannten Postwachstumsökonomie – dem Wandel hin zu kleineren Wirtschaftssystemen und damit einer Kontraktion als Gegenteil von Wachstum. Besondere Bedeutung bei seiner Kritik am „grünen Wachstum“ misst er auch den sogenannten Rebound-Effekten bei, die erzielte Effizienzgewinne immer wieder torpedieren und nicht selten zu einer noch höheren Umweltbelastung führen.
Paechs Antwort auf die Frage, wie nachhaltiges Wirtschaften überhaupt möglich sei, lässt sich wie folgt zusammenfassen: ‚Physisches Wachstum ist gemäß unterschiedlichster und naturwissenschaftlich untermauerter Theorien immer nur in Verbindung mit Umweltschäden möglich, auch virtuelle, immaterielle Leistungen bilden da keine Ausnahme. Ökologisch neutral sind nur handwerkliche Leistungen des Menschen, insbesondere in der Landwirtschaft – und damit eine Lösung des Dilemmas nur über eine Reduktion des Konsums möglich‘.
„Wohlstandsabrüstung“ als möglicher Lösungsansatz
Für Suffizienz, das Bemühen um einen möglichst geringen Energie- und Ressourcenverbrauch, und Subsistenz (Selbstversorgung) sprechen nicht nur die natürliche Ressourcenbegrenzung und die zahllosen, zum Teil kaum kalkulierbaren Rebound-Effekte neuer Technologien, sondern auch eine zunehmend besorgniserregende Entwicklung in unserer Gesellschaft. Denn zwischen der Zunahme psychischer Erkrankungen und einem voranschreitenden Wirtschaftswachstum besteht ein klarer Zusammenhang. Informations-Überdruss und Burnout sind nur zwei offensichtliche Symptome, mit denen immer mehr Menschen den Anforderungen eines sich immer schneller verändernden Arbeits- und Lebensumfelds nicht mehr gewachsen sind.
Die einfache, aber unbequeme Lösung: Eine Abrüstung des in den Industrienationen zum Teil überbordenden Wohlstands führt in der Regel zu mehr Lebensqualität! Es geht dabei nicht darum, den Armen das bisschen Wohlstand abzuerkennen, welches sie sich aufgebaut haben – aber den subjektiven Wert von Konsumgütern auch für die Reichen dieser Welt wieder zu erhöhen.
Gerade aus ökonomischen Gesichtspunkten sind viele von Paechs Ideen und Ansätzen zur Entwicklung unseres Wirtschaftssystems nur logisch: „Entrümpelung“ und Reduktion von Komplexität, „Tauschen statt kaufen“ und die Gemeinschaftsnutzung von Gütern wie Gärten, Autos, Maschinen, Wohnraum und vielem mehr, sowie die Umverteilung von Arbeitszeit (um nur einige zu nennen) steigern die individuelle und gesamte Effizienz – und sind somit eigentlich ein Grundgebot wirtschaftlichen Handelns und „ein Appell an die Vernunft des Homo Sapiens“.
Der Wandel beginnt beim Einzelnen!
Paech plädiert mit seiner Botschaft an jeden Einzelnen und sein Wirken im direkten, gesellschaftlichen Umfeld: einen langsamen, gut bedachten und damit nachhaltigen Wandel herbeiführen, der zwar kein oder weniger Wirtschaftswachstum, aber dafür mehr Zufriedenheit und ökologische Ausgeglichenheit zum Ziel hat. Sein „Verzichtsmodell“ sei eine Übungssache und nicht aussichtslos. Denn seine zum Teil recht radikal anmutenden Ideen sind auf den zweiten Blick zum Teil schon längst Realität geworden: mit der großen Bankenpleite und der darauf folgenden Weltwirtschaftskrise 2009 wurde der CO2-Ausstoss stark reduziert, und auch Kurzarbeit hat schon einigen Unternehmen das Überleben gerettet.
So antwortet Paech auf die Frage nach Alternativen zur „Wohlstandsabrüstung“ schmunzelnd: „Die nächste Krise kommt bestimmt“.
Rege Diskussion mit dem Publikum
Dass „Alternativen zum heute herrschenden Wirtschaftssystem“ für viele BürgerInnen von Interesse sind und Bedarf nach Wandel besteht, bewies auch die gut weitere anderthalb Stunden andauernde Diskussion des Publikums mit Niko Peach und untereinander. Die überaus rege und vielfältige Beteiligung werten wir als außerordentlichen Erfolg der Veranstaltung und hoffen, dass sich hieraus ein weiterer Austausch und mögliche Initiativen für Menschen aus Fischbachtal und Umgebung entwickeln.
Hier ist unsere Einladung:
Wege aus der Wachstumsfalle
Infoabend mit Prof. Dr. Niko Paech (Universität Oldenburg),
Bürgerhaus Billings, Donnerstag, 13.10.2016, 20:00 Uhr
Die lange gehegte Hoffnung, dass wirtschaftliches Wachstum durch technischen Fortschritt nachhaltig oder klimafreundlich gestaltet werden kann, bröckelt. Weiterhin scheint ein auf permanente ökonomische Expansion getrimmtes System kein Garant für Stabilität und soziale Sicherheit zu sein. Darauf deutet nicht nur die derzeitige Eskalation auf den Finanzmärkten hin, sondern auch die Verknappung jener Ressourcen („Peak Everything“), auf deren unbegrenzter und kostengünstiger Verfügbarkeit das industrielle Wohlstandsmodell bislang basierte.
Folglich ist es an der Zeit, die Bedingungen und Möglichkeiten einer Postwachstumsökonomie auszuloten. Was wären die Merkmale einer Ökonomie jenseits permanenten Wachstums? Welcher Wandel, welche Institutionen, welche Konsum- und Produktionsmuster gingen damit einher? Welche Wege führen in eine Wirtschaftsordnung, die auch ohne permanentes Wachstum für soziale Stabilität sorgen könnte?
Niko Paech
apl. Prof. Dr. Niko Paech studierte Volkswirtschaftslehre, promovierte 1993, habilitierte sich 2005 und vertritt derzeit den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er forscht und lehrt u.a. in den Bereichen Klimaschutz, nachhaltiger Konsum, Umweltökonomik, Sustainable Supply Chain Management, Innovationsmanagement und Postwachstumsökonomik.
Im Jahre 2006 wurde ihm für seine im Vorjahr publizierte Habilitationsschrift zum Thema “Nachhaltiges Wirtschaften jenseits von Innovationsorientierung und Wachstum – Eine unternehmensbezogene Transformationstheorie“ der Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie verliehen. 2014 wurde er mit dem Zeit Wissen-Preis “Mut zur Nachhaltigkeit“ ausgezeichnet. Die Jury bezeichnete ihn als „weltweit eine der Lichtgestalten in der Postwachstumsdiskussion“.
Mehr Informationen:
- Über Prof. Dr. Niko Paech an der Uni Oldenburg
- Niko Paech: Grundzüge einer Postwachstumsökonomie
- Bericht in der Neuen Züricher Zeitung: Es gehe um nichts weniger als um das Überleben der Menschheit.
- Informationen über Denkansätze zu einer Reform der Geld- und Bodenordnung bei www.sozialoekonomie.info
- "Wegweiser Bürgergesellschaft" bei der Stiftung Mitarbeit über Nachhaltige Entwicklung