Jahresthema 2017: Gesellschaft

Alter Text: Welche Bedeutung hat Vielfalt für Natur und Umwelt,
aber auch für unser gesellschaftliches Miteinander
einschließlich der Wirtschafts- und Arbeitswelt?
Wie steht es um Diversität in unserem Leben und welche
Rolle spielt sie im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung?
Ist Vielfalt Problem oder Chance, kann sie gar beides sein?
Begleite uns auf der Suche nach möglichen Antworten.
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Massentierhaltung als Sackgasse?

Podiumsdiskussion  |  08. Mai 2017  |  Bürgerhaus Niedernhausen

Zahlreiche Gäste diskutierten mit den Podiumsmitgliedern über alternative Ernährungskonzepte und über den Wandel der hiesigen Landwirtschaft. Und das Beste: die Veranstaltung endete, aber die Diskussionen nicht.

In seiner gewohnt professionellen und treffenden Rhetorik leitete Achim Krell den spannenden Abend ein. Mit einer Zusammenstellung von Redewendungen erfasste er der die Wirkung des menschlichen Expansionshungers auf die Erde und besonders auf ihre Tierwelt. Em Ende saß „der Mensch als Laus im Pelz der Erde“.
Präzise umriss er die vielen verschiedenen und untereinander abhängigen Aspekte, denen wir beim Thema „Nutztierhaltung“ begegnen - Tierhaltung, Bodennutzung, Trinkwasser, Nahrungsmittel, Industrialisierung, Kostendruck, schwindende Vielfalt, genetische Verarmung, Gesundheit, Ethik, Religion - um nur einige davon zu nennen.

Schnell leitete Krell über in die Vorstellung der drei Podiumsmitglieder und in die eigentliche Gesprächsrunde, die er durch gezielte Fragen an das Podium lenkte. So erfuhr das Publikum aus erster Hand z.B. wie sich die Tierhaltung global entwickelt und mit der Zeit bis heute verändert hat, welche Leistungen die heutigen „industriellen“ Nutztiere bringen müssen und in welcher millionenfachen Zahl überzählige Tiere getötet werden, welche Arten der „tierfreien“ Ernährung es gibt, welch große Diskrepanzen zwischen geäußertem Verbraucherwillen und Verbraucherverhalten bestehen und mit welchen Problemen viele lokale Landwirte heute zu kämpfen haben.

Beeindruckend waren Breite und Tiefe des Wissens, das die Gäste gemeinsam mitbrachten – und ganz nebenbei auch ihre Geschichten, wie sie „auf‘s Tier gekommen“ sind.

Ilse Köhler stammt aus Wembach, ist aus Liebe zum Hund Tierärztin geworden und dann bei einer Reise nach Jordanien aufs Kamel gekommen. So verschlug es sie nach Indien, wo sie seither sehr viel Zeit verbringt – auch aus Liebe zur Kultur und den Menschen. Sie sagt: „In den westlichen Industrieländern wandert das menschliche Verhältnis zu Tieren zwischen zwei Extremen: einerseits die Vermenschlichung von Haustieren und andererseits qualvolle Massentierhaltung und Tierversuche. In Indien dagegen liebt und nutzt der Mensch gleichzeitig.“ Diesen Gedanken möchte sie uns vermitteln, und vertritt die Idee, unsere Nutztiere wieder stärker in ihrem natürlichem  Lebensraum und Verhalten zuzuführen, um darüber eine nachhaltigere und langfristigere Ressourcennutzung zu erreichen und gleichzeitig unsere ethischen Ansprüche an den Umgang mit Lebewesen umzusetzen.

Peter Schuchmann, ein aus Reinheim stammender Landwirt und Agrartechniker, ist vor einigen Jahren 'ausgewandert' – nicht auf einen anderen Kontinent, sondern nach Sachsen-Anhalt – denn die großen Flächen erlaubten Expansion, und expandieren musste er, wenn er mit der Landwirtschaft sicher seinen Lebensunterhalt verdienen und trotzdem auch mal in den Urlaub fahren wollte. Vor nicht allzu langer Zeit entschied er, seinen Betrieb nicht weiter zu vergrößern und stellte auf ökologischen Landbau um. Über sein Engagement für die Interessen der Milchviehbauern ist er zur Verbandspolitik gekommen, und vertritt die Meinung, dass sich jeder einzelne Bürger stärker für das Tierwohl, das auch am Wohl der Menschen hängt, politisch engagieren sollte. Viel zu häufig werde die Verantwortung für die Lösung von beklagten Problemen auf die Politik abgewälzt.

Dr. Martin Engel von der Darmstädter Gruppe des Deutschen Vegetarierbundes belegt mit seinem großen Fachwissen und seinem eigenen Beispiel, dass der vollständige Verzicht auf tierische Produkte möglich ist und setzt so zusammen mit rund 8 Millionen Vegetariern in Deutschland ein sichtbares Zeichen! Dass man dabei wahrlich nicht auf Genuss verzichtet, weiß noch längst nicht jeder – an verlässlichen und aussagekräftigen Informationen zur fleischlosen Ernährung fehlt es leider immer noch. Hierfür und für die Bildung eines stärken Bewusstseins für die menschliche Ernährung engagiert sich Engel.

Die angeregte Diskussion des Publikums mit den Podiums-Gästen und auch untereinander zeigte, dass es viele Meinungen gerade zur fleischlosen Ernährung gibt. Denn tatsächlich kann sich zurzeit nur etwa jeder zehnte Bürger dafür entscheiden. Offenbar scheint weniger der vollständige Verzicht auf tierische Kost die Lösung des Tierwohl-Problems zu sein. Es ist wohl eher zurückzuführen auf die Gier der Massen auf billige Nahrungsmittel gemäß der Geiz-ist-geil-Mentalität und auf die mangelnde Bereitschaft, mehr Geld für gute und ethisch einwandfreie Nahrungsmittel zu bezahlen. Diese Umstände machen es auch für die lokalen Landwirte ganz generell schwierig, an ihrem Beruf festzuhalten. Unter dem bestehenden Kostendruck kann die Umstellung auf ökologischen Landbau und eine artgerechte Tierhaltung zwar ein lohnender Ausweg sein, jedoch kann und will nicht jeder das Risiko und das Engagement auf sich nehmen.

Pünktlich um 22 Uhr beendete Achim Krell die Veranstaltung - die Diskussionen endeten aber noch lange nicht.

Mehr Informationen:

 

Hier ist unsere Einladung:

Wesen oder Ware? Nutztierhaltung im Brennpunkt.

Podiumsdiskussion, Montag, 08. Mai 2017, 20:00 Uhr, Bürgerhaus Niedernhausen, großer Saal

Vor rund 10.000 Jahren haben wir begonnen, wildlebende Tiere zu Nutztieren zu machen. Seither liefern sie uns Nahrung und Rohstoffe, dienen als Transport- und Fortbewegungsmittel, sind aufs Engste verbunden mit unserer eigenen kulturellen Entwicklung.

Gezüchtete Nutztiere sind zu einem Leben in freier Wildbahn nicht mehr fähig. Deshalb bedeutet Tierhaltung die Sorge für das Tier: wir tragen die Verantwortung für seine Ernährung und Pflege, für Unterbringung, Gesundheit und Wohlbefinden. Mit Blick auf die weltweite Dimension der Nutztierhaltung keine leichte Aufgabe: sieben Milliarden Menschen stehen rund 70 Milliarden Federvieh, 12 Milliarden Rinder, Schafe und Ziegen sowie 1,5 Milliarden Schweine gegenüber - von Yaks, Kamelen und Lamas, Eseln und anderen erst gar nicht zu reden.

Massenhafte „Produktion“ und Haltung von Nutztieren stellt vor große Herausforderungen. Dazu gehören der hohe Ausstoß an Treibhausgasen, Futtermittelerzeug, anfallende Exkremente und manches mehr. Und wie steht es um Pflege und Unterbringung? Wie um Wohlergehen, Gesundheit und Lebenserwartung unserer Nutztiere? Sind sie für uns noch Wesen, oder haben wir aus ihnen eine reine Ware gemacht?

Kritische Podiumsdiskussion mit drei Experten

Über Aspekte der Nutztierhaltung diskutieren wir an diesem Abend, aus ökologischer, wirtschaftlicher und ethischer Sicht, mit drei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten:

Dr. Ilse Köhler-Rollefson lebt und forscht zeitweise in Indien. Die studierte Tiermedizinerin und Anthropologin schrieb über 100 wissenschaftliche Artikel über verschiedene Fachthemen und veröffentlichte zahlreiche Einzelwerke. 1998 wurde sie von der Ludwig-Maximilians-Universität in München habilitiert. Sie vertritt zugleich die Liga für Hirtenvölker und nachhaltige Viehwirtschaft.

Peter Schuchmann stammt aus Reinheim, ist gelernter Agrartechniker und heute Vorsitzender des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM) in Sachsen-Anhalt und Vorstandsmitglied im dortigen Landes-Rinderzuchtverband. Die Peter & Petra Schuchmann GbR bewirtschaftet 320 Hektar, davon rund 200 Hektar Grünland. Ihre 230 Kühe geben am Tag rund 5.000 Liter Milch - auf der Hitliste des Landeskontrollverbandes belegen sie regelmäßig vordere Plätze, gehören zu den besten Kühen Sachsen-Anhalts.

Dr. Martin Engel ist promovierter Physiker und vertritt die Regionalgruppe Darmstadt des Vegetariererbundes. Die intensive Beschäftigung mit Massentierhaltung hat ihn dazu bewogen, Ernährungs- und Lebenstil völlig zu verändern - heute leben er und seine Frau vegan. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren primär auch ethische Erwägungen.

Gezeigt wird an diesem Abend die Ausstellung „Wesen oder Ware?“ der Kommunikationsdesignerin Larissa Spindler, die sich kritisch mit dem Konsum von Milchprodukten auseinandersetzt.

Wo ist das Bürgerhaus Niedernhausen?

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